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Das Oberverwaltungsgericht Wrocław fragt den Europäischen Gerichtshof nach der festen Niederlassung der Gewerbeausübung

2018-07-16

Der Begriff einer festen Niederlassung der Gewerbeausübung (engl. fixed establishment, weiter: FE) ist eine Schlüsselfrage unter anderen aus der Sicht einer korrekten Ermittlung des Dienstleistungsorts für Mehrwertsteuerzwecke. Wegen der eher enigmatischen Begriffsdefinition, kommt es in diesem Bereich zu wiederholten Streitigkeiten zwischen den Steuerpflichtigen und den Finanzbehörden, die immer öfter ausländischen Unternehmern die FE in Polen zuschreiben.

Im Laufe der Untersuchung eines solchen Falls, richtete das Oberverwaltungsgericht Wrocław, durch Beschluss vom 6. Juni 2018 zwei Präjudizfragen an den Europäischen Gerichtshof:

  1. Kann man aus der Tatsache, dass eine Gesellschaft mit Firmensitz außerhalb des EU-Gebiets, eine Tochtergesellschaft auf dem Gebiet Polens hat, eine feste Niederlassung der Gewerbeausübung ableiten? 
  2. Ist ein drittes Wirtschaftssubjekt verpflichtet vertragliche Verhältnisse zwischen einer Gesellschaft mit Firmensitz außerhalb des EU-Gebiets und einer Tochtergesellschaft zu analysieren, um zu ermitteln, ob eine feste Niederlassung der Gewerbeausübung in Polen besteht?

Die Ermittlung, ob ein ausländischer Kontrahent in Polen eine feste Niederlassung der Gewerbeausübung hat, ist von wesentlicher Bedeutung für die richtige Mehrwertsteuerabrechnung. Gemäß Art. 28b Abs. 2 des Mehrwertsteuergesetzes, wenn Dienstleistungen für eine feste Niederlassung der Gewerbeausübung erbracht werden, über den Ort der Dienstleistungserbringung entscheidet nicht der Firmensitz, sondern eben diese feste Niederlassung der Gewerbeausübung. Infolge der Anerkennung, dass die ausländische Gesellschaft ihre FE in Polen hat, können polnische Steuerpflichtigen, die Dienstleistungen für sie erbringen, den Mechanismus der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft nicht in Anspruch nehmen, was wiederum die Anwendung des inländischen Steuersatzes und potentielle Abgabenrückstände im Bereich der bereits getätigten Transaktionen bedeutet. Ähnlich im Fall einer FE in Polen von ausländischen Kontrahenten, die Warenlieferungen vornehmen, besteht keine Möglichkeit den reverse charge Mechanismus anzuwenden, was die Anwendung des geltenden, inländischen MwSt-Satzes zur Folge hat (Art. 17 Abs. 1 MwSt-Gesetz).

Laut Definition in Art. 11 Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates, als feste Niederlassung der Gewerbeausübung gilt jeder beliebige Ort – anderer als der feste Firmensitz der wirtschaftlichen Tätigkeiten des Steuerpflichtigen, die einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur aufweist, die es ihr von der personellen und technischen Ausstattung her erlaubt, Dienstleistungen, die für den eigenen Bedarf dieser Niederlassung erbracht werden, zu empfangen und dort zu verwenden.

Diese Definition zerstreut nicht alle Auslegungsbedenken. Die Finanzbehörden weisen eine Tendenz zur weiten Auslegung der FE-Definition auf. Beispielsweise, in der Auslegung vom 6. Februar 2018  (Nr. 0114-KDIP1-2.4012.683.2017.2.MC) hat der Direktor der Steuerinformation Polen festgestellt, dass eine ausländische Gesellschaft, die Waren in Polen veräußert und Unterstützung einer Tochtergesellschaft in Anspruch nimmt, ihre feste Niederlassung der Gewerbeausübung in Polen hat. Ohne Bedeutung ist, dass Entscheidungen bezüglich des Verkaufsmodells in Deutschland getroffen werden, und die Firma in Polen nicht einmal ein Lager hat.

Ähnlich äußerte sich auch der Direktor der Steuerinformation Polen in der individuellen Auslegung vom 5. Februar 2018 (Nr. 0114-KDIP1-2.4012.643.2017.2.JŻ) im Fall einer norwegischen Gesellschaft, die einen polnischen Kontrahenten mit der Herstellung von Barken aus, ihm anvertrauten Konstruktionselementen beauftragte. Die norwegische Gesellschaft beförderte sie selbst nach Skandinavien, wo die wichtigsten Entscheidungen im Bereich der Produktion getroffen wurden. Die Behörde betonte, dass die Gewerbeausübung der Gesellschaft in Polen bereits mehrere Jahre dauert, Vertreter der norwegischen Firma die Produktion kontrollieren, und ihre Mitarbeiter haben Zugang zur Werft des Herstellers, somit entstand in Polen eine feste Niederlassung der Gewerbeausübung.

Die Auswertung dieser Frage durch den Europäischen Gerichtshof wird sicherlich helfen die, in diesem Bereich entstehenden Bedenken zu zerstreuen. In Anbetracht der nachteiligen Auslegung von Vorschriften seitens der Finanzbehörden, um eventuelle steuerlichen Risiken einzuschränken, sollte man bereits heute die Beantragung einer individuellen Auslegung in Erwägung ziehen.

Anna Skórska, Tax consultant, ATA Tax Sp. z o.o.

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anna.skorska@atatax.pl