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Eine durch einen nicht mehr existenten Unternehmer ausgestellte Rechnung darf zum USt-Abzug berechtigen

2015-11-26

Grundsätzlich darf man nicht einem Steuerpflichtigen das Recht auf den Abzug der Vorsteuer oder der bezahlten geschuldeten Umsatzsteuer für gelieferte Gegenstände mit der Begründung verweigern, dass die entsprechende Rechnung von einem als einen nicht existenten zu betrachtenden Unternehmer ausgestellt worden sei, und dass die Feststellung der Identität des tatsächlichen Warenlieferers unmöglich sei. Ausnahmsweise kann die Steuerbehörde das Recht auf Vorsteuerabzug ablehnen, wenn es nachgewiesen worden ist, dass der betroffene Steuerpflichtige gewusst oder wissen müssen hätte, dass eine solche Lieferung mit der Umsatzsteuerhinterziehung verbunden war. Diese Schlussfolgerung resultiert aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 22.10.2015 in der Rechtssache C-277/14 PPUH Stehcemp sp.j. Florian Stefanek, Janina Stefanek, Jarosław Stefanek gegen den Direktor der Finanzkammer in Łódź.

Sachverhalt

Die Gesellschaft Stehcemp Sp. j. tätigte im Jahr 2004 mehrere Einkäufe von Dieselkraftstoff, den sie im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit verwendete. Die Rechnungen über diese Kraftstoffeinkäufe wurden durch die Gesellschaft Finnet Sp. z o.o. ausgestellt. Die Gesellschaft hat die aus den erhaltenen Rechnungen resultierende Vorsteuer geltend gemacht. Das Recht auf  Vorsteuerabzug wurde jedoch dem Erwerber durch die die Steuerbehörde verweigert, die nach der durchgeführten Steuerprüfung festgestellt hatte, dass die Rechnungen von einem, nach den polnischen Vorschriften als nicht existenten Unternehmer ausgestellt worden waren. Unter den die für einen solchen Gedankengang sprechenden Umständen wurde auf die Tatsachen hingewiesen, dass der Unternehmer für die umsatzsteuerlichen Zwecke nicht registriert war, keine Steuererklärungen ablegte, keine Steuern einzahlte, keine Jahresabschlüsse veröffentlichte und über keine entsprechende Konzession verfügte. Dazu wies die Steuerbehörde noch auf die Tatsache hin, dass sich die als Gesellschaftssitz angegebene in einem jegliche Tätigkeitsführung ausschließenden Devastationszustand befunden habe, und dass Kontaktaufnahmeversuche mit der Gesellschaft oder mit deren Geschäftsführer erfolglos gewesen seien. Der Erwerber erhob eine gegen den Steuerbescheid, welche jedoch durch den Wojewódzki Sąd Administracyjny in Łódź (Woiwodschaftsverwaltungsgericht) mit der Begründung abgewiesen wurde, dass der Verkäufer ein nicht existenter Wirtschaftssubjekt gewesen sei, und der Erwerber selbst keine angemessene Sorgfalt eingehalten –  d.h. nicht überprüft habe, ob diese Geschäfte mit der Begehung einer Straftat verbunden worden seien. In der Kassationsklage wies der Steuerpflichtige auf den Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer hin und erhob das Argument, dass dem gutgläubig handelnden Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug nicht verweigert werden dürfe. Der Erwerber war im Besitz von mehreren Dokumenten (Auszug aus dem Handelsregister, Bescheinigung der Zuteilung einer steuerlichen Identifikationsnummer NIP und Bescheinigung der Zuteilung einer statistischen Identifikationsnummer REGON), welche die Legalität der von seinem Vertragspartner ausgeübten Tätigkeit belegen sollten. Wegen der aufgekommenen Zweifel, ob diese Tätigkeiten als Warenlieferung anzuerkennen wären und ob der Gesellschaft das Recht auf Vorsteuerabzug zustehen würde, richtete sich der Oberste Verwaltungsgericht (Naczelny Sąd Administracyjny) mit seinen Fragen zur Vorabentscheidung and den Gerichtshof der Europäischen Union.

Entscheidung

Während der GEU in der betreffenden Sache entschied, wies dieser darauf hin, dass das im polnischen Recht enthaltene Kriterium der Existenz des Lieferers oder seiner Berechtigung zum Ausstellen von Rechnungen unter den in der Sechsten Richtlinie genannten Voraussetzungen für das Recht auf Vorsteuerabzug nicht vorkomme. Diese Richtlinie zeigt jedoch, dass der Lieferer über den Unternehmerstatus für USt-Zwecke verfügen soll. Im Sinne dieser Richtlinie gilt als Steuerpflichtiger jede Person, welche selbständig Wirtschaftstätigkeit als Erzeuger, Händler oder Dienstleister, und zwar ohne Rücksicht auf Zwecke oder Ergebnisse einer solchen Tätigkeit, ausübt. Nach der Meinung des Gerichthofes kann man nicht ausschließen, dass der Verkäufer eine solche wirtschaftliche Tätigkeit geführt habe. Diese Schlussfolgerung wird durch das von den polnischen Behörden hervorgehobene Argument über den heruntergekommenen Zustand des Gesellschaftssitzes und über die fehlende Möglichkeit der Kontaktaufnahme nicht in Frage gestellt. Aus der Richtlinie geht auch nicht hervor, dass der Status des Steuerpflichtigen von irgendeiner Genehmigung oder Lizenz oder von der Beachtung der Pflichten des Steuerpflichtigen zur Ablage von Steuererklärungen und zur Abführung der Umsatzsteuer abhängen würde. Umso weniger darf man den Status des Steuerpflichtigen nicht mit der Pflicht zur Veröffentlichung von Jahresabschlüssen verbinden. Selbst wenn der Lieferer von Waren ein nicht für umsatzsteuerliche eingetragener Steuerpflichtiger ist, steht dem Empfänger trotzdem das Vorsteuerabzugsrecht zu, soweit in den entsprechenden Rechnungen alle Angaben, insbesondere diejenigen die zur Feststellung der Identität des Rechnungsausstellers und der Art von Waren erforderlichen, enthalten sind. Vielmehr, dass etwaige Fehlen der Berechtigung zur Verfügung über die Waren von dem Verkäufer darf eine Lieferung dieser Waren nicht ausschließen, soweit diese Waren tatsächlich dem Erwerber übergeben worden sind. Darüber hinaus hat der Gerichtshof daran erinnert, dass die polnische Gesellschaft tatsächlich die Umsatzsteuer aus den empfangenen Rechnungen entrichtet habe.

Das besprochene Urteil hat eine zentrale Bedeutung für die Unternehmer, die unabsichtlich und gutgläubig Einkaufsgeschäfte mit den gemäß dem polnischen Recht nicht existenten Lieferanten geführt haben. Wenn die Waren geliefert worden sind, der Steuerpflichtige bezahlt hat, und die ihm zugestellten Rechnungen alle rechtgemäß erforderlichen Angaben enthalten, dann treten keine Voraussetzungen auf, um dem Lieferer den Status eines Steuerpflichtigen und folglich dem Erwerber das Recht auf Vorsteuerabzug zu verweigern. Gleichzeitig hat der Gerichtshof in dem Urteil darauf hingewiesen, wann dem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug zu verweigern wäre – denn die Behörden allein sind dafür zuständig, auf Grund von objektiven Voraussetzungen zu beweisen, dass die Anwendung des Abzugsrechtes mit einem Verbrechen oder Missbrauch verbunden worden sei. Dies würde dagegen stattfinden, wenn der betroffene Steuerpflichtige wüsste oder wissen sollte, dass er durch den Warenerwerb an einem mit der Umsatzsteuerhinterziehung verbundenen Geschäft beteiligt gewesen wäre. Denn es sei die Aufgabe der Steuerbehörden nachzuweisen, dass betroffene Steuerpflichtige ein solches Wissen besaß oder gehabt haben müsste.